Gabrièle Gisi und Andrea Nottaris
In der Ausstellung begegnen sich Andrea Nottaris und Gabrièle Gisi, zwei Oltner Künstlerinnen, deren Start in die Gestaltungswelt durch die Ausbildung an der Fachklasse für Keramik geprägt wurde. Sie treffen in unterschiedlichen Medien aufeinander, treten in einen Dialog und fokussieren dabei beide das Körperhafte.
Impressionen der Ausstellung in der Galerie des Kunstvereins Olten, August 2018
Plädoyer von Regina Graber:
Andrea Nottaris
Bei Andrea Nottaris steht in der aktuellen Schaffensphase das filmische Medium, das weiterverarbeitet wird in Malerei und Pigmentdruck im Zentrum. Als Ausgangsmaterial sind dies meist Super 8-Filme, die sie, einem plastischem Material gleich, verformt und assoziativ weiterentwickelt. Dabei wird das Ursprungsmaterial komplett überarbeitet und verändert. Andrea Nottaris interessieren Störungen im Filmmaterial, Bilddetails, die versteckt sind, Bildfragmente, die sich assoziativ verbinden lassen. Sie isoliert diese und bearbeitet sie, einer Plastikerin gleich, weiter. In der Ausstellung hat sie sich intensiv mit der Formensprache und der Materialität von Gabrièle Gisi auseinandergesetzt, das Körperhafte aufgegriffen und dabei ihre eigenständige Position verfolgt. Im Blick behält sie den Fokus aufs Gesamtwerk, auf die Wirkung des gesamten Raumes, die Materialwahl, den Dialog der Arbeiten. So sehen wir im ersten zentralen Raum eine Videoarbeit, die eine Reaktion auf die dreidimensionale Verformungen der liegenden Figuren des Werkes „Porcelain Army“ von Gabrièle Gisi zeigt. Die Steigerung der Verformung manifestiert sich hier in einer weiteren Umformung von reellem filmischen Material, nämlich einer Gruppe von Ferkeln, die zur Unkenntlichkeit verändert worden sind. In Schwarz und Weiss gehalten, liegt der Fokus auf der Dynamik der Verformung, der Choreografie des Durcheinanders, das sich Luft- oder Wasserblasen- ähnlich zusammenschliesst und neue Körper zu bilden scheint. Inspiriert hat AN der Anblick des glatten Materials Porzellan, dessen Oberfläche sie an die gespannte, glatte Haut von Ferkeln erinnert hat. Von dieser haptischen Erinnerung berührt, recherchierte sie in ihrem Filmarchiv und erinnerte sich an ein Filmszene, die ihr als Ausgangsmaterial diente.
Im zweiten Raum sehen wir in den Arbeiten „Saubande“ und „Muttersau“ die Körper dann in ihrer ganzen Fülle, das Gewusel, Gedrücke und Gezerre wird malerisch sichtbar gemacht. Die Körper stehen isoliert ohne Hintergrund im Bild, so wie dies auch im digitalen, grafischen Raum, unter dem Fachausdruck „freigestellt“, oft gemacht wird. Kein Sujet soll vom Zentralen ablenken. Die Grösse der Werke betonen die Körperlichkeit, drängen sie beinahe spürbar aus dem Format und lassen doch im Detail Zweifel offen, wo sich der einzelne Körper vom anderen abgrenzt.
In den kleinen Arbeiten „Ringelreihe“, die im Korridor gehängt sind, sehen wir eine Werkreihe, die formal ihren Anfang bereits etwa 2009 gefunden hat. Das filmische Material wird hier im Pigmentdruck weiterverarbeitet. Die Serie zeigt in der Vervielfachung und Veränderung des gleichen Sujets eine Bildabfolge, die beim Betrachten beinahe filmisch bewegt wahrgenommen werden kann.
Im letzten Raum finden wir die Werkreihe „Fabrik“, welche eine weitere künstlerische Spur AN verfolgt. Die Arbeit, welche ebenfalls auf der Basis von bearbeiteten Super8-Filmstills entstanden ist, zeigt Bildausschnitte aus der industriellen Arbeitswelt Chinas vergangener Zeiten. Der Fokus darin liegt in der Komposition, die auf unspektakulären Situationen aufbaut. Dabei spielt auch die Wiederholung eine wichtige Rolle und das Isolieren einzelner Bildteile mittels malerischen Interventionen. Auch hier ist es ein formaler Reiz, der AN in ihrer Arbeit vorantreibt.
Gabrièle Gisi braucht eine Idee für den Beginn einer Arbeit. Alles, was danach passiert, ist Teil eines Prozesses und der innere Drang, die begonnene Arbeit konsequent weiterzuführen.“ sagte der Bildhauer und Schulleiter (Neue Schule für Gestaltung) Peter Amsler und deutet damit an, wie zentral der Schaffensprozess als solches, das Ausreizen des Materials Porzellan, mit welchem sie meist arbeitet, ist. Da steht beispielsweise eine Gipsgussform am Anfang der Arbeit „Porcelain Army“, die sie als Negativform für die erste Reihe der liegenden Körper verwendet. Sie verändert diese Negativschalen durch kontinuierliches Aushöhlen und Verändern der Form. Diese Form, die Garant ist, um eine weitere Porzellanform damit giessen zu können, wird also immer weiter verformt bis keine Steigerung mehr möglich ist und damit die Möglichkeit oder Illusion zerstört, dasselbe wiederherstellen zu können. Inhaltlich macht GG mit ihrer Arbeit PA einen Bezug zur chinesischen Terracotta-Armee, der lebensgrossen männlichen Kriegerfiguren in voller Montur, welche vor über 2200 Jahren dem Kaiser von China als Grabbeigabe mitgegeben worden ist. Dabei sucht sie das Spiel mit der Gegensätzlichkeit. Ebenfalls als Reihung, jedoch in horizontaler Form, liegen die puppengrossen, nackten, weiblichen, Figuren aus weissem Porzellan auf dem Boden neben ihresgleichen. In der nächsten und jeder weiteren Reihe verändert sich ihre körperliche Ausdehnung bis hin zu einer Kugelform. Die Kugel, die sich als optimale und perfekte Ausdehnung innerhalb eines Materiales definiert. Eine weitere Steigerung scheint unmöglich. Das Material Porzellan ist ein schwieriges Material in seiner Verarbeitung. Als Guss verändert sich das Ausgangsmaterial von flüssigen zum festen Zustand. Der Vorgang des Brandes steigert die Spannung zusätzlich. Die Möglichkeiten damit, sind nicht unbegrenzt und trotzdem interessiert genau das GG so sehr, dass sie versucht die Form gänzlich auszureizen.
Auch bei der Arbeit „Matrjoschka“, die im zweiten Raum als filigrane Installation zu sehen ist, lag der Reiz darin, die kleine Plastikpuppe aus dem Estrich in ein anderes Material zu übertragen und deren Form in kleinen Schritten zu verändern. 2Im weissen Schwarm, der uns nun umhüllt, sind die formalen Übergänge nahtlos, die Puppe scheint sich selber zu verflüssigen, wird zum Cocoon, der sich in seiner Unförmigkeit dem Körperhaften verwehrt und gerade dadurch durch das Wesenhafte überzeugt. Er erinnert uns auch, vom Titel inspiriert, an das Matrjoschka-Spiel, bei dem es darum geht, aus dem Körper der grösseren Puppe eine kleinere zu ziehen. Der Titel spielt mit der Weiterführung dieses Gedankens.
Im dritten Raum erwarten uns 5 ungewöhnliche Objekte. GG hat sich hier von den Bildern AN inspirieren lassen. Sie demontiert einen Gegenstand aus dem Bild und verformt ihn in 5 unterschiedlichen Stadien. Mit „Andrea“; frech nach ihrer Inspiration benannt, spielt die Sparbüchse oder das Sparsäuli mit den Symbolträgern, nach der sie/es benannt ist. Wir können nur erahnen, welchen formalen Herausforderungen sich GG in dieser Arbeit stellen musste bzw. wollte... Die Ausstellung zeigt in jedem Raum ein stringentes Konzentrat des Dialoges zweier Künstlerinnen, die in ihrer Arbeit ganz eigenständige Wege gehen und trotzdem eine spielerische Offenheit dem Gegenüber bewahren. Lassen sie sich davon einhüllen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
©Regina Graber, 24.8.2018